Psychochirurgie (Lobotomie)
Von Psychochirurgie zu sprechen,
spiegelt falsche Tatsachen vor. Die Psyche kann nicht operiert
werden; vielmehr handelt es sich um chirurgische Eingriffe am gesunden
menschlichen Gehirn, die zum Zwecke einer Veränderung und Steuerung
des Verhaltens oder der Emotionen durchgeführt werden.
Der Schweizer Psychiater Gottlieb
Burckhardt versuchte 1888 als erster das Verhalten psychisch kranker Menschen
operativ zu verändern. Er entfernte fünf Gramm der postzentralen
Hirnrinde. 1935, am internationalen Neurologenkongress in London, berichtet
der Neurophysiologe John F. Fulton zusammen mit dem Psychologen Carlyle
Jacobsen von den Verhaltensänderungen, die bei Schimpansen, denen
das Frontalhirn entfernt wurde, zu beobachten sind. Auch unter Extremsituationen
wurden die Tiere nun nicht mehr aggressiv sondern blieben folgsam und
zutraulich. Sehr interessiert hörte der portugiesische Neurologe
Antonio de Egas Moniz diesen Ausführungen zu. Zusammen mit dem Neurochirurgen
Almeida Lima versuchte Moniz noch im selben Jahr, Teile des Präfrontallappens
von Patienten mit Verfolgungswahn, ängstlicher Erregung, Depression
und Manie durch Injektionen von Alkohol zu zerstören. Doch er erkannte
bald, dass mit dem Messer die weisse Substanz des Präfrontallappens
präziser ausgeschaltet werden kann. So führte Lima unter der
Anweisung von Moniz im Dezember 1935 die erste präfrontale Leukotomie
(auch Lobotomie genannt) durch.
1949 erhält Moniz den Nobelpreis.
1947 wurde erstmals eine stereotaktische Operation durchgeführt:
Durch ein Borloch wird eine Sonde ins Gehirn geschoben, an deren Spitze
Hirngewebe elektrokoaguliert, radioaktiv oder mit Kälte zerstört
wird. Die verschiedensten Zielpunkte, die sich im sogenannten limbischen
System (das schlagwortartig als emotionales Gehirn bezeichnet wird) befinden
oder mit ihm verbunden sind, werden dabei angepeilt: u.a. der Hypothalamus,
das corpus amygdaloideum (Mandelkern), das Cingulum und die capsula interna.
Bei der stereotaktischen, limbischen Leukotomie werden Verbindungen zwischen
dem Stirnhirn und dem limbischen System zerstört. Nun wurden (neben
allen übrigen psychiatrischen Diagnosen und sogar psychosomatischen
Beschwerden) vorwiegend folgende "Störungen", bzw. Patientengruppen
psychochirurgisch angegangen: Aggressivität, hyperaktive, bzw. erethisch-aggressive
Kinder, Abhängigkeit von Alkohol und illegalen Drogen, abweichendes
Sexualverhalten und sogar Kriminalität. Die Behandlung von Gewaltverbrechern
blieb lange ein wichtiges Ziel der Psychochirurgie. (vgl. Mark & Ervin,
1970) Der unbewiesene Zusammenhang zwischen gewalttätigem Verhalten
und pathologischen, neurophysiologischen Abläufen im Gehirn bildete
die Rechtfertigung für diese Eingriffe. Gesellschaftliche Probleme
(Gewalt, Kriminalität) sollten also biologisch, durch Verstümmelung
des Gehirns gelöst werden.
Kritisiert werden muss auch die
Tatsache, dass Psychochirurgen - gemäss eigenen Aussagen -
ihre Operationen oft gleichzeitig als therapeutische Eingriffe und als
Experimente (die erst noch wissenschaftlichen Ansprüchen nicht zu
genügen vermögen) verstehen.
Folgen der Eingriffe: Tod
durch Hirnblutung ist die schwerwiegenste Komplikation psychochirurgischer
Eingriffe. Die Leukotomie führt u.a. zu weitgehender Einschränkung
der intellektuellen Leistungsfähigkeit und Gedächtnis, zu Verlangsamung,
und Hilflosigkeit, zu emotionaler Indifferenz und Inkontinenz, sehr oft
zu Gewichtszunahme und als Spätkomplikation häufig zu traumatischer
Epilepsie. Als weitere Komplikation ist die Halbseitenlähmung zu
erwähnen. Auch die Stereotaxie führt - je nach Zielpunkt in
varierendem Ausmass - u.a. zu "Persönlichkeitsverflachung", Abfall
der intellektuellen Leistungsfähigkeit, Gedächtnisstörungen,
Antriebsmangel, Gewichtszunahme, bisweilen zu Lähmungen.
Bis heute werden stereotaktische
Operationen durchgeführt - als Indikationen gelten Depression,
Angst- und Zwangskrankheiten sowie schizo-affektive Zustände. Erschreckend,
dass bis heute - ohne jede wissenschaftliche Rechtfertigung - zur Behandlung
von Verhaltensstörungen chirurgische Eingriffe am Gehirn durchgeführt
werden. Von Heilung kann hier in keiner Weise gesprochen werden. Vielmehr
handelt es sich um nichts anderes als um soziale Anpassung, um ein Gefügigmachen
störender Menschen. Und dies wird nach wie vor durch die Zerstörung
von physiologisch gesunden Teilen ihres Gehirns erreicht, was in keiner
Weise ethisch zu rechtfertigen ist.
Elektroschock
Der Elektroschock (heute auch
beschönigend "Elektrobehandlung", "Elektrokonvulsions-Therapie",
"elektrische Durchflutungstherapie", "Elektrokrampftherapie" oder "Elektroheilkrampfbehandlung"
genannt) wurde erstmals 1938 im damals faschistischen Italien vom Psychiater
Ugo Cerletti, seit 1935 Professor in Rom, beim Menschen angewendet.
Elektroschocks werden immer in Serien
(meist acht bis zwölf Schocks) eingesetzt. Ausgehend von zwei
an den Schläfen angesetzten Elektroden werden unter der Spannung
von 100 bis 150 Volt 200 bis 1600 Miliampere während 0,1 bis 8 Sekunden
durch das Gehirn geleitet. Dies löst einen 30 bis 60 Sekunden dauernden
Grandmal-Anfall (grosser epileptischer Anfall) aus.
Der Elektroschock gilt heute erstaunlicherweise
für viele Psychiater als guter und sicherer Eingriff zur Behandlung
der Depression. Die Nebenwirkungen der Antidepressiva werden als gefährlicher
und schwerwiegender eingestuft. Elektroschocks werden auch bei Schizophrenie
und weiteren psychiatrischen Diagnosen angewendet. Weil Antidepressiva
für alte Menschen besonders gefährlich sind, werden bei ihnen
Elektroschocks häufiger eingesetzt. Nicht berücksichtigt wird
dabei, dass Elektroschocks in dieser Altersgruppe vermehrt zu Todesfällen
(infolge Herzversagen oder Hirnblutungen) führen. Auffallend, dass
Frauen weitaus häufiger elektrisch geschockt werden als Männer.
(Je nach Quelle wird das Verhältnis mit 2:1 bis 3:1 angegeben.)
Die Psychiatrie rätselt über
die Ursache der Wirksamkeit von Elektroschocks und hat zur Erklärung
nichts als eine Flut von Hypothesen anzubieten. Als Folge des Schocks
kommt es zu Störungen - Verwirrung, Gedächtnisstörungen
und Schwankschwindel -, die denjenigen einer schweren Hirnerschütterung
entsprechen. Was als vorübergehende Besserung der Depression erscheinen
mag - sie ist abhängig vom Ausmass und der Dauer der Gedächtnisstörungen
-, wird sinnvollerweise als euphorisches Ueberspielen der beschämenden
Folgen der organischen Schädigung des Gehirns verstanden und erklärt.
Bei vielen Betroffenen bleiben Gedächtnisstörungen für
die Wochen und Monate vor, während und nach der Applikation der Elektroschockserie
für immer bestehen.
Es darf nicht vergessen werden,
dass der Elektroschock, als operationsähnlicher Eingriff, in grossem
Ausmass Placeboeffekte auslöst.
Die Elektroschockbefürworter
betonen, dass verschiedene Modifikationen die Behandlung sicherer
und nebenwirkungsfreier gemacht haben. Doch vielmehr vergrössert
die heute allgemein praktizierte Anwendung des Elektroschocks in Narkose
die mit dem Eingriff verbundenen Gefahren (tödlich ausgehende Narkosezwischenfälle).
Weitere Aenderungen, wie die unilaterale Anwendung (zur Verminderung der
Störung des verbalen Gedächtnisses) und die sogenannte Kurzpulstechnik
sind - falls effektiv weniger Gedächtnisstörungen auftreten
- weniger wirksam und werden deshalb von vielen Anwendern abgelehnt.
Bis in die siebziger Jahre
wurde von den Anwendern offen zugegeben, dass der Elektroschock in der
Psychiatrie oft missbräuchlich als Disziplinierungsmassnahme eingesetzt
wurde. Mit Recht wurde diese Behandlungsmethode deshalb Ende der sechzigzer
Jahre zum Symbol einer repressiven Psychiatrie; auf Grund ihrer weitgehenden
Ablehnung durch weite Teile der Bevölkerung kam sie viel seltener
zur Anwendung. Doch seit Beginn der achtziger Jahre ist die Zahl der Elektroschock-Behandlungen
weltweit wiederum im Steigen begriffen. Es ist auffallend, dass dieses
"Comeback des Elektroschocks" in eine Zeit fiel, in der zunehmend Kritik
an den Wirkungen der Psychopharmaka laut wurde. Bereits werden Elektroschocks
nicht nur in einzelnen Serien sondern auch als fortgesetzte "Behandlungen"
monate-, ja jahrelang angewendet.
Eugenik
Francis Galton (1822 - 1911), ein
Vetter Darwins, hatte den Begriff Eugenik 1883 geprägt und
als "Wissenschaft von der Verbesserung des Menschen durch Zucht" definiert.
Der deutsche Begriff Rassenhygiene hat weitgehend ähnliche Bedeutung.
Der Mediziner Alfred Ploetz (1860-1940), der ihn erstmals verwendet, spricht
von der "Wissenschaft von der Verbesserung der Erbanlagen". Was in ihren
Augen einzutreffen drohte und unbedingt verhindert werden sollte, war
der Untergang der Menschheit durch die "Vererbung von Degenerationen",
wie dies der französische Psychiater Benedict Augustin Morel (1809-1873)
in seiner Degenerationslehre postuliert hatte.
Die Sozialdarwinisten verstanden
die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als Ergebnis eines
biologischen Ausleseprozesses; die Eugeniker hatten das klare Ziel, diesen
Selektionsprozess in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der strenge biologische,
bzw. genetische Determinismus, von dem sie überzeugt waren, rechtfertigte
ihrer Meinung nach rigorose Eingriffe.
Eugenisches Denken war in
der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts weit verbreitet. So
setzten sich damals auch führende Psychiater wie August Forel, Emil
Kraepelin und Eugen Bleuler unzimperlich für eine Verbesserung der
Menschheit durch eine "gesunde Zuchtwahl" ein. Auch in den USA hatte die
Eugenik-Bewegung viele Anhänger.Doch bald ging den Eugenikern die
Möglichkeit der Verbesserung der Menschheit durch Zucht nicht mehr
weit genug. Sie begannen laut über die Tötung von "lebensunwerten"
Menschen nachzudenken. 1920 publizierten Alfred Hoche, Direktor der psychiatrischen
Universitätsklinik in Freiburg und der Jurist Karl Binding das Buch
"Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Mass und ihre
Form".
Nach der nationalsozialistischen
Machtergreifung 1933
in Deutschland wurden die bis dahin von den Eugenikern und Rassenhygienikern
feurig verkündeten Ideen zielstrebig verwirklicht. Im selben Jahr
noch erliess Hitler das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses".
In den darauffolgenden Jahren wurden im NS-Staat mindestens 400'000 Menschen
zwangssterilisiert und 30'000 Schwangerschaftsabbrüche mit eugenischer
Indikation durchgeführt.
Bereits vor 1939 wurden in
Deutschland heimlich erste "Euthanasiemassnahmen" durchgeführt. Am
18. August 1939 begann die "Kinderaktion", die Ermordung von "missgebildeten
und geistig unterentwickelten Kindern". Ebenfalls im August 1939 begann
die "Aktion T4", etwas später wurde sie durch die "Sonderbehandlung
14f13" ergänzt. Insgesamt wurden weit über 200'000 Geisteskranke
und weitere Asoziale und Aussenseiter umgebracht. Der Schritt von der
Sterilisation und Schwangerschaftsunterbrechung zum Massenmord war erschreckend
schnell gemacht. Das Ziel, die Ausmerzung der "schlechten Brut", bzw.
"der defekten Untermenschen" (Forel), blieb dasselbe.
Nicht nur die Ermordung der Psychiatriepatienten,
auch der Genozid an den Juden war letztlich eugenisch begründet.
Dem eugenischen Denken zufolge sind sowohl Geisteskranke wie auch die
jüdische Rasse biologisch minderwertig.
Leider sind mit dem Ende des zweiten
Weltkriegs die Ideale und Ziele der Eugeniker keineswegs verschwunden.
Es kam zur "humangenetischen Modernisierung der Eugenik" Heute werden
wieder biologische und nicht soziale Lösungen gesellschaftlicher
Probleme angestrebt. Mit gentechnologischen Methoden wird versucht, die
Gene, die die Anlage von Schizophrenie, Manie und weiteren psychischen
Störungen (bzw. deren Vulnerabilität) determinieren, nachzuweisen.
Dies soll die Grundlage zur Früherkennung (möglichst schon während
der Schwangerschaft) und damit letztlich zur Ausmerzung sämtlicher
Geisteskrankheiten (durch Schwangerschaftsunterbrechung) bieten. Bis dahin
setzen sich humangenetische Beratungsstellen und Psychiater dafür
ein, dass erwachsene Menschen,
die an psychischen Krankheiten leiden, sich nicht fortpflanzen sollten.
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